Ewald Fleer an seinem 77 (= letzten) Geburtstag am 29. April 2006

Ewald Fleer
an seinem 77. (= letzem) Geburtstag, 29. April 2006


Mein Vater hat auch für seine eigene Trauerfeier gut vorgesorgt - u. a. durch folgende von ihm verfaßten Texte.

Da er selber später auch den von ihm vorsorglich verfaßten Text für die Trauerfeier von seiner Frau (meiner Mutter) auf seine Homepage gestellt hat ("Ursula Fleer - meine Frau"), bin ich überzeugt, auch in seinem Sinne zu handeln, wenn ich nun diese Texte hier veröffentliche.
Natürlich ist dies auch eine weiterer Schritt in der Trauerarbeit für mich.
Eike Fleer

 


 

 

Sehr geehrter Herr Pfarrer (Koch?)!

Nach einem 'Leben mit Höhen und Tiefen' möchte ich auch am Ende meine Dankbarkeit zeigen für alles Gute, das mir zuteil wurde. Ich bitte Sie, die Feier zu meiner Beisetzung daher so zu gestalten, dass dies deutlich wird. Dazu soll auch der Entwurf eines Textes (meines Lebenslaufes) dienen, den ich als Anlage beifüge mit der herzlichen Bitte, ihn in Ihre Amtshandlung zu übernehmen.

Ich wünsche mir folgende Lieder, die Lob und Dank sagen:

 

 

Lobe den Herren......

Du meine Seele singe......

Von Gott will ich nicht lassen......

 

eg Nr. 316, Verse 1, 2, 5

eg Nr. 302, Verse 1, 2, 8

eg Nr. 365, Verse 1, 3, 8

 

 

wenn dies zeitlich möglich ist.

Danke!

Ewald Fleer.

 

 


 

 

"Lebenslauf" (Ewald Fleer)

(Geschrieben im Februar 1999 und gedacht als Teil der Andacht bei meinem Tod. An den zuständigen Pfarrer richte ich die herzliche Bitte, den Text in seine Amtshandlung zu übernehmen)

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Lebenslauf des Verstorbenen, von ihm geschrieben im Februar 1999 als Teil der Andacht an diesem Tage - mit der Bitte, seine Freude und Dankbarkeit zu verstehen und anzunehmen.

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Ich wurde im April 1929 in Herford geboren. Meine Eltern waren der Tischler Richard Fleer und dessen Ehefrau Charlotte. Ich hatte einen zwei Jahre jüngeren Bruder.

Von den Eltern liebevoll umsorgt wuchsen wir auf in einer Zeit, die zunehmend vom Nationalsozialismus geprägt wurde, in der die damalige NSDAP als sogenannte 'Volkspartei' auch das Alltagsleben bestimmte.

Meine Kindheit war daher beeinflusst durch das vom Vater deutlich sozialdemokratisch geprägte Elternhaus und die mit Schulbeginn einsetzende Erziehung im Sinne des Nationalsozialismus.

Ich erinnere mich an ein Ereignis im Jahre 1936, als ich sieben Jahre alt war. Der spanische Bürgerkrieg war beendet. Es mögen 400 bis 500 Jungen und Mädchen gewesen sein, die auf dem Schulhof antreten mussten, das Hissen einer Fahne erlebten und die Ansprache des Rektors. Er lobte Adolf Hitler und die Flieger der deutschen Legion Kondor, die geholfen hätten, die Feinde des spanischen Volkes zu besiegen. Am Ende dieser Veranstaltung sangen wir alle die erste Strophe des Deutschlandliedes und das Horst-Wessel-Lied. Ich beschloss, ein Flieger zu werden.

1939, als Zehnjähriger, bekam ich meine erste Uniform. Im 'Jungvolk' erlebte ich unbewusst die missbräuchliche Beeinflussung von Körper und Geist der Kinder durch die NSDAP, die ich willig annahm. Ich träumte davon, einmal ein Held zu sein.

1943, im vierten Kriegsjahr, glaubte ich mehr denn je an Adolf Hitler, trotz aller Not, trotz großer Niederlagen der deutschen Armeen. Mein Vater war Soldat in Rußland, damals 42 Jahre alt. Ich war stolz auf ihn und verstand nicht, warum meine Mutter oft weinte.

In diesem Jahre wurde ich konfirmiert. Meine Freunde und ich spotteten manchmal über unseren Gemeindepfarrer, den wir auch damals den 'Pappen' nannten. Im Unterricht lernten wir eher widerwillig ein paar Lieder und einiges aus dem Kleinen Katechismus. Mit Begeisterung aber hörten wir zu, wenn der Pfarrer -listig- von den Kampfbombern des Führers sprach und diese in Beziehung stellte zum Weltall und dessen Schöpfer.

Er beschrieb die Größe dieser Flugzeuge und ihre hohe Geschwindigkeit, die damals wohl etwa 300 Kilometer in der Stunde betrug. Er nannte die Entfernung des Mondes und der Sonne von der Erde und rechnete vor, dass jeder dieser mächtigen schnellen Bomber 50 Tage und Nächte fliegen müsste, um den Mond zu erreichen, und mehr als 20.000 Tage und Nächte, mehr als 57 Jahre, um zur Sonne zu gelangen.

Der Pfarrer beschrieb damit Fakten. Er war politisch unangreifbar. weil die Welt in ihren Dimensionen real existiert. Und auf Gott, ihren biblischen Schöpfer, berief sich ja auch der Führer in seinem 'Sendungswahn'.

Aus seiner Sicht folgerichtig bestimmte unser Pfarrer für mich und einige andere Jungen als Konfirmationsspruch die Worte aus dem 1. Brief des Apostels Paulus an die Korinther, 3,11:

Einen andern Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.

Das, was er auch mir damit sagen wollte, verstand ich damals nicht. Aber immer wieder in meinem Leben sollte ich daran erinnert werden. Oft sehr schmerzhaft.

1944 träumte ich noch davon, Flieger zu werden. Ich flog mit einem Segelflugzeug erste Platzrunden, mit dem rauschhaften Gefühl, das Fliegen vermitteln kann.

Einige Monate später war dieser Traum zerstört. Als Mitglied des Volkssturms, des letzten Aufgebotes gegen die alliierten Truppen, geriet ich in Gefangenschaft. Ein betrunkener amerikanischer Offizier befahl meine sofortige Exekution, weil ich noch bewaffnet war. Ich wurde mit dem Gesicht gegen eine Wand gestellt, hörte Kommandos hinter mir und zugleich die lauten Protestrufe gefangener deutscher Soldaten, die in der Nähe eingesperrt waren. Wohl niemals habe ich die Worte HERR HILF! so gequält geschrien wie in diesen Minuten, die damit endeten, das der genannte Offizier mich schmerzhaft mit seinen Stiefeln trat, am Kragen zu den anderen Gefangenen schleppte und mich mit einem weiteren Tritt in deren Kreis stieß.

Als noch Fünfzehnjähriger habe ich begonnen, Gott um Hilfe zu bitten, auch im Herbst 1945, als ich einen Blutsturz überlebte, als man feststellte, die meine Lungen tuberkulös waren, als später verschiedenen Operationen misslangen. HERR HILF! HERR HILF MIR BITTE! Mit diesen und ähnlichen Worten bettelte ich damals um mein Leben.

Auf der Suche nach meiner Rolle in der Gesellschaft erinnerte ich mich in den folgenden Jahren immer wieder dankbar an unseren alten Gemeindepfarrer und an meinen Konfirmationsspruch. In diesem fand ich oft Hilfe und Zuversicht.

Besonders große Bedeutung bekam er für mich, als ich 1949 meine Frau kennenlernte, als sich die Tuberkulose reaktivierte, als ich monatelang mit dem Tode rang.

In jener Zeit waren es Bitten des Hilflosen, des Suchenden und zuletzt die Gefühle eines Dankbaren, die mich oft an meinen Konfirmationsspruch denken ließen.

1951 haben meine Frau und ich geheiratet. Wir wurden in der Stiftskirche in Enger getraut. Zusammen mit Gundula, meiner Stieftochter, Euch, den Kindern Eike, Elise und Erdmuthe und später auch mit Euch, den Enkelkindern, erlebten wir anschließend eine Zeit, auf die ich dankbar zurückblicke und die auch Ihr in guter Erinnerung haben werdet. .

Ich hatte einen Beruf, der mir Freude machte, auch Erfolge brachte. Ich hatte Vorgesetzte, Kolleginnen und Kollegen, die zur guten Zusammenarbeit bereit waren, und Freunde, auf die ich mich verlassen konnte, denen auch ich gerecht zu werden versuchte. Bei ihnen allen bedanke ich mich heute. Ich wünsche ihnen Gottes Segen auf ihren Wegen.

Auch im privaten Bereich gab es vieles, das Freude in mein Leben brachte. Ich denke meine kleine Imkerei, an meine Arbeit für die Natur, historische Projekte und die Literatur.

Mein besonderer Dank aber gilt heute meiner Frau, den Kindern, Enkelkindern und deren Angehörigen. Ihr habt mich im wahren Sinne dieses Wortes glücklich gemacht. Und ich darf hier schreiben, dass wir, abgesehen von den üblichen Problemen, eine große glückliche Familie waren, in der jeder für jeden eintrat und ihm Geborgenheit bot.

Mit gutem Gedenken und Handeln werdet Ihr auch in der Zukunft füreinander eintreten. Das ist für mich beglückende Gewissheit.

Tragt das, was mein Konfirmationsspruch mir sagen sollte und schließlich auch gesagt hat, was für mich zur Lebenserfahrung wurde und mir Zuversicht für das Kommende gibt, weiter durch Euer Leben. Es schenke Euch/Ihnen allen Trost und Zuversicht, Glauben und Hoffnung.

Einen andern Grund kann niemand legen, außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.

In Liebe und Dankbarkeit verabschiede ich mich: Euer Vater, Großvater, Urgroßvater, Euer/Ihr Freund und Bekannter

Ewald Fleer.

 

 


Nachtrag:
Wie es der Wunsch des Verstorbenen war, wurde dieser Text im Gottesdienst zu seiner Beerdigung
am 8. September 2006 in der Friedhofskapelle zu Enger der versammelten Trauergemeinde
von Pfr.in Schmuck vorgelesen.
Auch seinen Liedwünschen wurde vollständig entsprochen.
Eike Fleer


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von Ewald Fleer, 32130 Enger